Lerne Hunger- und Sättigungsgefühl neu kennen
Hunger- und Sättigungsgefühl sind Körpersignale, die heutzutage oft zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Das kann zum Beispiel daran liegen, dass wir verlernt haben, dem Körper genügend Beachtung zu schenken. Stattdessen lassen wir einerseits Werbung, Appetit und Gelegenheit unser Essverhalten steuern. Andererseits ist Essen oft von Angst und Vermeidungsstrategien geprägt. Zeit, zu lernen klug auf den eigenen Körper zu hören.
Lerne Hunger und Sättigung wahrzunehmen
Isst du seit geraumer Zeit eher mit dem Verstand und befolgst definierte Mengenvorgaben, statt auf dein Gefühl zu hören? Dann kann es durchaus passieren, dass du deine Hunger- und Sättigungssignale bereits so häufig ignoriert hast, dass du verlernt hast, wie sie sich anfühlen können. Aber keine Sorge. Das kannst du wieder neu entdecken und trainieren.
Dafür schulst du deine Wahrnehmung mit einigen Übungen. Das muss nicht mühsam sein, sondern kann sogar lecker und spannend werden. Versuche dabei etwas Spaß und Neugier einfließen zu lassen.
Wie fühlt sich richtiger Hunger an?
Versuche zunächst herauszufinden, wie sich für dich richtiger Hunger und wie sich Appetit anfühlt? Welche Abstufungen kannst du dabei wahrnehmen? Wie fühlt sich beispielsweise leichter Hunger und wie fühlt sich starker Hunger an?
Das sind relativ individuelle Empfindungen, sodass sich zum Beispiel starker Hunger für jemanden durch Gereiztheit und Unruhe und für jemand anderen durch Übelkeit oder Magengrummeln äußert. Für wieder jemand anderen kann es auch nur ein Gefühl von Schwäche und Unkonzentriertheit sein. Für dich könnte es aber beispielsweise auch das Signal für leichten Hunger sein. Du siehst: Die Sache ist sehr individuell. Deshalb versuche die Signale deines Körpers zu deuten, sodass du rechtzeitig reagieren kannst und deinem Körper zum richtigen Zeitpunkt Energie parat stellst. So kann er rechtzeitig richtige Signale zur Sättigung sendet.
Es wird nicht immer möglich sein, dem nachzukommen und einen „perfekten“ Zeitpunkt für die Nahrungsaufnahme auszuloten. Das muss aber auch nicht sein. Es geht vielmehr darum, ein Gleichgewicht zu etablieren, welches dafür sorgt, dass du auf die Signale deines Körpers vertrauen kannst. Dein Körper muss sich wiederum darauf „verlassen“ können, dass du seine Bedürfnisse ernst nimmst und darauf reagierst.
Sättigungsgefühl wahrnehmen
Auf ähnliche Weise kannst du dein Sättigungsgefühl wahrnehmen und trainieren lernen. Beim Essen stellst du dir einfach zwischendurch die Frage, wie satt du schon bist. Versuche dabei in deinen Körper hinein zu fühlen. Nach drei Bissen fühlt sich die Sache sicher noch sehr unbefriedigend an. Wie ist es, wenn etwa der halbe Teller und dann dreiviertel vom Teller leer sind? Wie ist es, wenn du aufgegessen hast? Wie fühlt es sich an, wenn du zu viel gegessen hast? Das probierst du für einige Mahlzeiten aus und schaust, ob du schon Unterschiede wahrnehmen kannst.
Viele Menschen haben Schwierigkeiten damit, Sättigung und Völlegefühl zu trennen. Deshalb sei hier klar gesagt: Es gibt einen Unterschied. Völlegefühl ist nicht mit Sättigung gleichzusetzen. Es ist nicht erstrebenswert nach jeder Mahlzeit, einfach nur voll zu sein. Gesättigt bist du, wenn du das Gefühl hast, zufrieden zu sein und Energie zu haben. Bist du nach dem Essen eher schlapp und müde und dein Magen spannt unangenehm, dann bist du wahrscheinlich eher voll. Eventuell brauchst du eine Weile, um in dich hineinzufühlen und sensibel dafür zu werden, was sich wie anfühlen kann.
Hunger- und Sättigungsgefühl trainieren – So klappt es
Dein Hunger- und Sättigungsgefühl zu trainieren, ist vermutlich erstmal eine Herausforderung. Jedes Training läuft so ab, dass du versuchst, deinem Ziel langsam näher zu kommen. Dabei gibt es Fortschritte und Rückschritte. Sei darauf gefasst, dass du mal zu wenig und mal zu viel essen wirst. Das ist normal. Das ist das Leben.
Kein Platz für ein schlechtes Gewissen
Die Hinweise zur Lebensmittelauswahl im vorigen Bolgbeitrag „Kein Sättigungsgefühl? Ständig Hunger? – Das können die Ursachen sein“ sind grobe Richtwerte, die dir dabei behilflich sein sollen, dein Hunger- und Sättigungsgefühl leichter zu erkennen. Haderst du damit, ob du das „Richtige“ isst, um dein Sättigungsgefühl gut wahrnehmen zu können und dafür zu sorgen, dass es sich rechtzeitig einstellt? Du hast vielleicht inzwischen festgestellt, dass es mit belegten Vollkornstullen und gemüsereichen Gerichten ganz gut klappt, aber wie sieht es da mit Nudeln, Pizza oder Kuchen aus?
Keine Angst. Auch beim Kuchenessen stellt sich ein Sättigungsgefühl ein, das du nach und nach richtig zu deuten lernst, auch wenn es dir am Anfang vielleicht schwerer fällt. Alle Lebensmittel sind grundsätzlich erlaubt. Nichts ist verboten. Essen mit Appetit, aber ohne Hunger ist gelegentlich okay. Sei dir lediglich dessen bewusst, dass es nicht zum Dauerzustand werden sollte und dass sich die Sättigungssignale dann eben etwas anders anfühlen können. Es ist eine Sache der Aufmerksamkeit und der Übung, die du für einen gewissen Zeitraum in dein Essverhalten investierst.
Was der Alltag, dein Sozialleben oder dein Genusswille zwischendurch einfordern kann und soll ebenfalls Raum und Beachtung innerhalb deiner Essgewohnheiten finden.
Essen ohne Hunger zu haben, sollte bei dir niemals ein schlechtes Gewissen auslösen, ebenso wenig wie das gelegentliche Essen bis zum absoluten Völlegefühl. Essen kann mit mehr oder weniger Genuss verbunden sein. Was es auf keinen Fall tun sollte, ist dich in Konflikt mit deinem Gewissen bringen (außer aus ethischen Gründen. Dann lohnt es sich, nochmal über gewisse Sachen nachzudenken und gegebenenfalls anzupassen). Es sollte auch nicht an dein Selbstwertgefühl gekoppelt sein. Essen ist dazu da, deine Gesundheit zu erhalten und kann dazu dienen, den Genuss zu und soziale Interaktionen zu fördern. Essen sagt nichts über deinen Wert als Mensch aus.
Vermeide das Alles-oder-Nichts-Prinzip
Du möchtest unbedingt eine Veränderung in deinem Essverhalten bewirken und hast dich auf die Suche nach deinem Hunger- und Sättigungsgefühl gemacht. Dabei kann es schnell passieren, dass du dich unbewusst zu sehr unter Druck setzt und dir zu viel auf einmal abverlangst.
Wenn du beispielsweise abnehmen möchtest und dabei das Gefühl hast, dass dein Sättigungsgefühl dich im Stich gelassen hat, fällt es umso schwerer, sich auf einen längerfristigen Prozess einzulassen. Das ist aber umso notwendiger, damit du nachhaltig zufriedener mit deinem Essverhalten und deinem Körper sein kannst. Hat es heute nicht geklappt, wie du es wolltest, ist der Rest des Tages nicht egal.
Versuche, solche Denkmuster wie „Ab morgen wird alles anders.“ zu vermeiden. Das baut nur unnötigen Druck auf und hat nichts mit einer realistischen Umsetzung deines Vorhabens zu tun. Das Scheitern ist dann beinahe vorprogrammiert.
Denk daran, dass jeder Weg aus vielen kleinen Schritten besteht, die nach und nach gegangen werden müssen. Das mag dir vielleicht am Anfang nicht schnell genug erscheinen. Bedenke aber auch, dass diese kleinen Schritte gleichzeitig beruhigend sind, weil es auf diese Weise wirklich machbar ist. Rückblickend ist dieser Weg immer derjenige, der am nachhaltigsten und damit erfolgreich ist.
Du machst es für dich
Vergiss das Wichtigste nicht: Du schuldest niemandem ein bestimmtes Essverhalten, eine bestimmte Figur oder bestimmte Essgewohnheiten. Das, was du tust, ist in erster Linie für dich und passiert entsprechend deinen Prioritäten. Darüber solltest du dir immer im Klaren sein. Du kannst die Prioritäten setzen und entscheiden, was dir in diesem Moment wichtiger ist oder was du als sinnvoll empfindest.
Mache dir deshalb im Vorfeld Gedanken darüber, was dir wichtig ist im Leben und welchen Stellenwert solche Dinge wie echter Genuss, die Erhaltung deiner Gesundheit, Entspannung, Kontrolle, Gewicht, dein Äußeres, kurzfristiges Vergnügen usw. für dich haben. Diese Dinge können von Mal zu Mal in ihrer Bedeutung und Gewichtung natürlich variieren. Es ist nie eine statische Entscheidung für das gesamte Leben. Aber wenn du weißt, was ungefähr deine groben Richtlinien sind, fällt es einfacher, innerhalb dieser zu navigieren und sich nicht den Richtlinien, Meinungen und Erwartungen anderer Menschen zu unterwerfen.
Suche dir Unterstützung
Hast du das Gefühl bekommen, dass du jetzt besser Bescheid weißt, wie du dein Hunger- und Sättigungsgefühl besser wahrnehmen lernen kannst? Aber du hast den Eindruck, dass du Unterstützung bei der Umsetzung benötigst? Dann suche dir die für dich passende Hilfe. In deinem Fall mag vielleicht eine Freundin, ein Freund oder die Partnerschaft genug Unterstützung und Rückhalt bieten. Wenn du Schwierigkeiten teilen und dir Rat einholen kannst, kann es viel bewirken, dir in schwierigen Situationen Halt geben und dich langfristig bei deinem Veränderungsprozess unterstützen.
Diese Form der Unterstützung ist aber nicht für alle Menschen ausreichend. Vielleicht brauchst du professionelle Hilfe von einem Ernährungsberater, einer Ernährungstherapeutin, einem Arzt oder einer Psychotherapeutin. Versuche dir in diesem Fall eine kompetente Unterstützung zu organisieren. Das bringt dich weiter in Richtung bessere Gesundheit und mehr Wohlbefinden im Leben. Und das ist das eigentlich Erstrebenswerte daran.
Bilder:
Titelbild: Pizza, Ruth Georgiev, unsplash (bearbeitet)
junge Frau beim Essen, Andrea Piacquadio, Pexels
Donuts, Sharon Mccutcheon, pexels
Julia Schimmelpfennig ist Texterin, Bloggerin und Autorin für Ernährungsthemen aus Berlin.
Sie schreibt und bloggt über Lebensmittel, Nährstoffe, Kräuter und unterschiedlichste Facetten von Ernährung. Vegane und vegetarische Ernährung ist ihr Spezialgebiet.